In finsteren Zeiten

Ein paar Gedanken warum eine partielle Sonnenfinsternis mich als Christ nicht unberührt lässt.
Heute (10.06.2021) um halb eins gab es eine partielle Sonnenfinsternis über Deutschland. Ich gebe zu, obwohl, der Himmel wolkenlos war, ich habe nix gesehen. Weder hatte ich eine geeignete Brille, noch reichen meine Fotografierkünste und meine Kamera – wie man sehen kann – aus, eine partielle Sonnenfinsternis abzulichten.
Ganz anders war das am 11. August 1999 als Student in Freiburg hatte ich das große Glück eine totale Sonnenfinsternis bei einem einigermaßen unbewölkten Himmel zu erleben. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut. Denn obwohl ich wusste, was da passiert, gut vorbereitet war und auch die physikalischen Zusammenhänge einigermaßen verstanden hatte, war ich überrascht von den Emotionen, die mich packten, als die Vögel verstummten, und das Licht mitten am Tag rasant schwand. Ein einmaliges Ereignis in meinem Leben. Die nächste totale Sonnenfinsternis über Deutschland im Jahr 2081 werde ich vermutlich nicht mehr erleben.
In der Bibel wird berichtet, dass in der Todesstunde Jesu sich die Sonne für drei Stunden verfinsterte. Seit Jahrhunderten wird in Theologie und Exegese und sogar von manchen Astronomen diskutiert, wie das zu verstehen sei. Natürlich gab es immer wieder Versuche, über die genannte Verfinsterung der Sonne den genauen Todestag Jesu zu errechnen. Dabei wussten auch die Gelehrten im Altertum schon, dass sich eine totale Sonnenfinsternis niemals bei Vollmond ereignet und sicher keine drei Stunden dauert. Und da ebenfalls nach biblischer Überlieferung Jesu rund um das Pesachfest (welches immer bei Vollmond gefeiert wird) hingerichtet wurde, zeigen die Versuche, die Bibel an dieser Stelle wörtlich zu nehmen, nur, dass man sehr schnell auf dünnes Eis gelangt, wenn man die Bibel mit einem wissenschaftlichen Bericht verwechselt. Die Bibel ist ein Glaubensbuch. Und natürlich steht es jedem frei zu glauben, dass Gott in diesen drei Stunden die Naturgesetze außer Kraft gesetzt hat, damit der Evangelist der Nachwelt von der Finsternis berichten kann, die zufällig auch zu verschiedenen Ankündigungen von Finsternis bei den Propheten passt. Und dann gab und gibt es natürlich auch noch immer wieder diejenigen, die die Verdunklung mit Wolken oder anderen Naturereignissen erklären wollen.
Für meinen Glauben spielt es keine Rolle, ob die Menschen damals in Jerusalem sich angesehen haben und gesagt haben “Warum ist es mitten am Tag dunkel?” Viel wichtiger scheint mir die Bildebene: Auch heute noch sprechen wir gerne von finsteren Zeiten, wenn wir von maßloser Gewalt und Ungerechtigkeit erfahren. Und genau dies wird doch mit dem Tod Jesu zum Ausdruck gebracht: Gott, der das Licht erschaffen hat, ist damit konfrontiert, dass wir Menschen aus freien Stücken immer wieder das Licht der Liebe durch unsere Taten verdunkeln.
Auch heute leben wir noch in finsteren Zeiten. Krieg, Hunger, Ungerechtigkeit, Corona und andere Krankheiten, Hass, Intolleranz, sexualisierte Gewalt und vieles mehr ereignet sich auch heute, an einem Tag, an dem die Sonne freundlich vom Himmel lacht. Ohne die Medienberichte in den letzten Tagen hätte ich vermutlich gar nicht mitbekommen, dass der Mond sich ein Stückchen vor die Sonne über Deutschland geschoben hat. Und genauso unbemerkt bleibt oftmals die Verdunklung der Liebe. Die Gänsehaut, das heilige Erschrecken, der stockende Atem, die ich 1999 erlebt habe, sie finden allenfalls dann und wann statt, wenn eine Gräueltat als große Schlagzeile auftaucht.
Heute habe ich um halb eins mit der Kamera in den Himmel geschaut, ob vielleicht doch ein bischen Sonnenfinsternis zu sehen ist. Und ich hab mich an 1999 erinnert, damals in Freiburg und an die Sterbestunde Jesu. An diesem Abend gilt meine Aufmerksamkeit den vielen tausend kleinen und großen Sonnenfinsternisen die Menschen heute erlebt haben, ohne dass wir anderen etwas bemerkt haben. Für Sie bete ich: “Herr, lass das Licht deiner Hoffnung und deiner Liebe in ihrem Leben aufleuchten.”
Tja, lieber Richard, ICH hab im Juni die Sonnenfinsternis gesehen. Da ich um die Uhrzeit Unterricht hatte, hab ich kurzerhand Brillen für die Klasse gekauft, was mir nicht nur den Titel “beste Reli-Lehrerin” einbrachte (ein Titel, der bis ungefähr zur nächsten Klassenarbeit hält), sondern mir auch die Möglichkeit gab, selbst die Sonnenfinsternis zu sehen – was, ehrlich gesagt, mein Hauptanliegen war. 🙂
Dann aber lagen die Schüler*innen auf dem Rücken und schauten sich die angeknabberte Sonne an und staunten und staunten und staunten. Auch dazu war diese Sonnenfinsternis gut: Um uns wieder mal bewusst zu machen, wie viel kleine und große Wunder es doch gibt, in der Natur und im Leben. Und um das Staunen wieder zu entdecken.