Habt keine Angst

Predigt zum Abschied  aus der Kirchengemeinde St. Nikolaus Münster

Pastoralreferent Richard Schu-Schätter

Sonntag 30. Januar 2022 11:30 Uhr St.-Nikolaus-Kirche
Lesung: 1 Kor 13, 4–13  – Evangelium: Lk 4, 21–30

Es zählt das gesprochene Wort!

Youtube: Eucharistiefeier am 30.1.2022 um 11.30 Uhr mit Verabschiedung von Pastoralref. Richard Schu-Schätter – YouTube (Ab Minute 18)

Liebe Schwestern und Brüder,

ganz schön heftig, was wir gerade gehört haben. – Ich meine nicht den paulinischen Lobgesang auf die Liebe, der hat es auch in sich. Aber das heutige Evangelium, – Zunächst kommt die Erzählung am Anfang ganz sachte daher. Die Leute in Nazareth stimmen Jesus zu und sind beeindruckt von dem was er getan hat und sagt. Und wenige Sätze später treiben sie ihn hinaus  und wollen ihn in den Tod stürzen.

Erst „Hosianna“, dann „Kreuzige ihn!“. Am Ende schreitet Jesus durch die Menge hindurch und davon – „Halleluja!“. Mit dieser kleinen Erzählung am Anfang fasst Lukas das ganze Evangelium zusammen. Ob Jesus wirklich am Abgrund stand, ist nicht wichtig. Lukas will uns eine Grunddynamik von Leben und Glauben vor Augen halten. Schauen wir genau hin: Woher kam die ebenso erstaunliche wie plötzliche Wut damals in Nazareth?

Interessant zu wissen ist: Die Galiläer, also die Landsleute von Jesus, und damit auch die Menschen in Nazareth hatten kein besonders hohes Ansehen in Jerusalem und im Land Israel. Sie hatten einen auffälligen Dialekt, galten vielleicht als etwas dümmlich. „Landeier“, „Bauerntrottel“, würde man heute vielleicht sagen –  sie waren also durchaus Hohn und Spott gewohnt. Aber jetzt sind sie stolz, dass einer aus ihrem Dorf Kranke heilt und so gelehrt ist und schon fast berühmt. Solchen Stolz kennen wir ja: Wir sind Papst und wir sind Weltmeister und  so …

Und dann macht Jesus ihnen deutlich, dass er nix für sie tun kann, weil sie vielleicht beeindruckt sind, von dem was er sagt und tut, ihm aber nicht wirklich vertrauen. Er belegt es mit Beispielen aus der Schrift und macht ihnen klar:  Überall anders kann er Menschen heilen, aber nicht in Nazareth, weil er für sie immer der Sohn Josefs bleiben wird. Seine Zuhörer*innen werden leer ausgehen. Die maßlose Wut darüber führt dazu, dass sie ihn raus treiben und ihm ans Leder wollen.
Die Quelle dieser Wut in Nazareth ist die Angst davor, wieder einmal dumm dazustehen. Die Angst davor zu kurz zu kommen, die Angst davor leer auszugehen und nix dagegen tun zu können. Diese lähmende Angst wird aufgelöst durch eine maßlose Wut. Denn im Gegensatz zur lähmenden Angst ist Wut nämlich sehr aktiv und aktivierend. Das lässt die Leute in Nazareth aufspringen und genau das tun, was Jesus angekündigt hat.  

Ein bisschen ist das wie selbsterfüllende Prophezeiungen: Eben weil die Menschen in Nazareth so große Angst haben zu kurz zu kommen, kann Jesus bei Ihnen keine Wunder wirken. Die Angst selbst setzt das in Gang, wovor die Menschen Angst haben. Das ist ein Muster, dass es zu aller Zeit gegeben hat:  

  • Es war die Angst kein Toilettenpapier mehr zu haben, die dazu geführt hat, dass es kein Toilettenpapier mehr zu kaufen gab. Darüber kann man heute schmunzeln. Über andere Sachen nicht:
  • Es war die Angst des Pharao, dass die Israeliten in großen Scharen sein Land verlassen, die dazu geführt hat, dass er sie immer heftiger unterdrückte, bis Mose sie durch das rote Meer aus dem Land führte.
  • Und ist es nicht die Angst vor Unfreiheit, die dazu führt, dass Menschen sich nicht an Corona-Regeln halten oder sich nicht impfen lassen, weswegen wir jetzt über Impfpflicht reden und weiterhin zum Schutz vor Überlastung unseres Gesundheitssystems Masken und Abstand und Kontaktbeschränkungen brauchen? 
  • Und ist es nicht die Angst vor einer Diktatur, die zu den heftigen Angriffen auf Medien und Politik führen und damit unser bewährtes demokratisches System instabil machen? Bewahre uns Gott davor, dass die Angst vor einer Diktatur uns geradewegs in eine Diktatur führt.
  • Und ist es nicht die Angst davor, dass die Kirche ihre moralische Autorität verliert, die dazu geführt hat, dass alle humanwissenschaftlichen und theologischer Erkenntnisfortschritte ignoriert werden, Menschen wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden und nun wirklich niemand mehr etwas zum Thema Moral von uns hören will?  
  • Und ist es nicht die Angst davor, dass die Kirche ihr Ansehen verliert, die den unsäglichen Umgang mit Opfern und Tätern des sexuellen Missbrauchs erst möglich macht, der uns auch den letzten Rest des Ansehens nimmt?
  • Und ist es nicht die Angst vor der Spaltung der Kirche vor der bestimmte Kardinäle, Bischöfe und andere so gerne warnen, die ihre Herzen verstocken lässt, notwendige Reformen verhindert und die Menschen in Scharen aus der Kirche treibt? Wenn das mal keine Spaltung des Gottesvolkes ist!
  • Und ist es nicht die Angst davor, dass unsere Gemeinde ihre Lebendigkeit verliert, die uns immer wieder verkrampft  an dem ein oder anderen liebgewonnen Projekt festhalten lässt und so dazu führt, dass immer weniger Lebendigkeit zu spüren ist?

Wer sein Leben retten will, sagt Jesus, der wird es verlieren. Wer die Kirche retten will, oder die Gemeinde, oder sein Ansehen, oder liebgewordene Traditionen, oder seine Macht oder seinen Reichtum, der verliert die Menschen aus dem Blick und setzt damit alles aufs Spiel. Wenigstens das, sollten wir Katholiken langsam mal kapieren.

Angst war und ist immer ein schlechter Ratgeber. So wichtig sie ist, weil sie uns vor Gefahren warnt, wenn sie uns lähmt oder in Wut umschlägt, dann provoziert sie selbst die Katastrophe, vor der sie eigentlich schützen sollte. Und es gibt so vieles, was uns Angst macht.

Ein Ausweg aus der Angst ist die Wut, sie bringt uns in Aktion und macht die lähmende Angst vergessen. Dass kann heilsam sein, aber wie jede Medizin kommt es auf die Dosis an. Wut neigt eben dazu, sich ins zerstörerische unendliche zu steigern. Und dann bleibt nix mehr heil.

„Ich aber“ schreibt Paulus – zugegeben ein bisschen aus dem Zusammenhang gerissen – „Ich aber zeige euch einen anderen Weg, einen der alles übersteigt.“ – Glaube, Hoffnung und Liebe

  • Wer Glaubt, das heißt vertraut, dass Gott uns nicht im Stich lässt und es grundsätzlich gut mit uns meint, der kann wie Petrus auf dem See auch dann noch um Hilfe rufen und die Hand Jesu ergreifen, wenn er vor lauter Angst droht unterzugehen.
  • Wer nur ein allerletztes Fünkchen Hoffnung sich bewahrt, dass es irgendwo noch etwas Gutes zu entdecken gibt, der kann sich wie die Jünger von Emmaus auf den Weg machen und überraschende Begegnungen erleben.
  • Wer liebt, also ohne Angst selbst zu kurz zu kommen, dem anderen geben kann, was er braucht, der kann wie die Seeleute beim Kornwunder des heiligen Nikolaus entdecken, dass er am Ende nicht weniger, sondern mehr hat.

Manch einer von Ihnen liebe Schwestern und Brüder wird jetzt vielleicht Angst haben, dass er nicht genug glaubt und hofft und liebt. Achtung Falle: lassen sie sich von ihrer Angst nicht lähmen.

Der Kern unseres Glaubens ist, dass wir uns die Liebe Gottes nicht erst durch Wohlverhalten oder ein besonders frommes und gutes Leben verdienen müssen. Es ist andersherum: Gott liebt uns bedingungslos, also ohne Vorbedingung und auch dann noch, wenn wir in unserer Angst und Wut gefangen bleiben. Und deshalb können wir seine Liebe ohne Angst weiterschenken.

Das einzige, was immer wieder zwischen uns und Gott steht, ist unsere eigene Angst.

Liebe Schwestern und Brüder,

Ich weiß nicht, ob Jesus damals in Nazareth Angst hatte, oder ob er sich seiner Sache sicher war. Später in Jerusalem hatte er auf jeden Fall Angst – Todesangst. Aber er lässt sich von seiner Angst nicht lähmen. Er schreitet durch die Menge, er schreitet durch die Angst, er schreitet durch den Tod hindurch ins Leben und macht mit seiner Liebe den Weg frei für uns.

Ich wünsche Ihnen,

  • dass sie auf Ihrem weiteren Weg den Glauben nicht verlieren, dass Gott es gut mit uns meint
  • Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Hoffnung nicht verlieren,  dass sich manches zum Guten wendet
  • Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder die Liebe spüren und weiterschenken können, die Gott Ihnen ins Herz gelegt hat.

Schwestern und Brüder,

habt keine Angst! Gott ist mit Euch!

Amen

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert